Obwohl es am Donnerstagmorgen noch stürmte, wurde es letzten Endes wieder voll im Uppers in Kreuzberg. Diesmal durften wir Julian Lost als besonderen Gast begrüßen, der einen Impuls rund um das Thema digitales Nomadentum zum Besten gab.

Er selbst ist schon seit einigen Jahren ein digitaler Nomade; er hatte einen relativ drastischen Schritt vollzogen und all seine Dinge verkauft bis auf die, die er mitnehmen wollte. Und dann machte er sich auf den Weg und verbringt seitdem die kälteren Monate in Südostasien, während wir ihn im Sommer nach wie vor meist in Berlin antreffen können. Zunächst wollte er all seinen Zuhörern klar machen, warum es nicht so toll ist, ein digitaler Nomade zu sein. Da in den Medien eher selten auf die Nachteile eingegangen wird, hatte Julian schnell die Aufmerksamkeit der Zuhörer mit seinem spannenden Vortrag.

Warum ist digitales Nomadentum nicht zu empfehlen?

Zunächst definierte Julian noch kurz den Begriff „digitales Nomadentum“ und erläuterte, dass diese Arbeitsweise letzten Endes erst dank moderner Technologien möglich ist, die eine Standortunabhängigkeit erlaubt. Da der Großteil der Zuhörer zumindest grundsätzlich mit der Idee vertraut war, überraschte dies noch eher wenig. Dann legte Julian aber mit den Nachteilen los.

1. Man hat weniger feste Beziehungen zu Familien und Freunden

Familienmenschen könnten sehr große Probleme mit digitalem Nomadentum haben. Man wird zwar nicht per se gezwungen, alle Beziehungen zur Familie und zu Freunden komplett aufzugeben, nur sieht man sich eben viel seltener, da man häufiger unterwegs ist.

2. Man hat einen deutlich weniger geregelten Arbeitstag und ein chaotischeres Arbeitsumfeld

„Water cooler talk“, also die Gespräche in der kleinen Pause auf der Arbeit über das TV Programm vom Vorabend (oder was einen sonst so bewegt) fallen im Normalfall aus. Zwar sind Online-Konferenzen und Video-Talks möglich, diese spielen sich aber auf einer ganz anderen Ebene ab und wem zwischenmenschliche direkte Kommunikation wichtig ist, der wird auch hier zu kurz kommen.

3. Es gibt keinen festen Wohnsitz

Man muss sich ebenfalls daran gewöhnen, kein richtiges Eigenheim mehr zu haben. Der Traum vom Haus mit Garten und einer tollen Terrasse ist nur sehr schwer umsetzbar, wenn man sich voll und ganz dem digitalen Nomadentum verschreibt. Stattdessen übernachtet man sehr viel häufiger in Hotels und AirBnBs, die natürlich auch noch oft gewechselt werden. Wurzeln fassen kann man so quasi gar nicht.

4. Man reist ständig

Viel Reisen ist ebenfalls ein negativer Punkt, der aufgeführt wurde. Nach kurzer Verwunderung von Seiten seiner Zuhörer (immerhin verbinden die wenigsten Leuten Reisen mit etwas Negativem) stellte Julian klar, dass er sich hier speziell auf die Organisation dieser Reisen bezieht. Neben Hotels und AirBnBs kommt noch die Buchung von Flügen, der Transfer zum Flughafen sowie das Besorgen von Visas dazu. Dies vergisst man schonmal, wenn man nur einmal im Jahr in den Urlaub fliegt, doch wenn das plötzlich zum Alltag gehört, beginnt sogar Reisen ein Stück weit seinen Reiz zu verlieren.

5. Man löst weniger Probleme als man im Vorfeld annimmt

Häufig redet man sich ein, bestimmte Dinge im eigenen Leben würden sich ändern, wenn man den eigenen Standort verändert. In der Praxis musste Julian feststellen, dass dies eher selten der Fall ist. Oder mit seinen eigenen Worten: „Man nimmt sich immer selbst mit.“
Dies ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, über den man sich bereits im Vorfeld klar werden sollte.

Die Vorteile des digitalen Nomadentums

Selbstverständlich gibt es auch mehrere Gründe, die FÜR das digitale Nomadentum sprechen. Zunächst hat Julian hier den Fakt angeführt, dass man die Freiheit hat, von überall aus zu arbeiten. Und so kann man sich eben das gute Wetter in Berlin in den Sommermonaten aussuchen und die kälteren Monate woanders verbringen, wo das Wetter dann auch in den Wintermonaten äußerst angenehm ist.

Außerdem lernt man natürlich ganz viele Leute kennen, von denen nicht wenige einen ähnlichen Lebensstil pflegen. Der Austausch mit Leuten über die Grenzen des eigenen Heimatlands hinaus fördert die Kreativität, da man ganz neue Einblicke erlangt. Man bekommt nicht nur neue Ideen erläutert, man bekommt diese regelrecht „vorgelebt“. Man schaut sich etwas von den Leuten in dem Land ab, in dem man sich gerade befindet und so fühlt es sich über längere Zeit sogar so an, als würde die gesamte Welt ein wenig zusammenrücken.

Wie schafft man den Sprung, digitaler Nomade zu werden?

Idealerweise baut man sich ein Business auf, das komplett ortsunabhängig ist. Julian selbst betreibt beispielsweise eine Online Marketing Agentur, die er dank moderner Technologie wie Videotelefonie von überall aus betreiben kann. Internet und Strom bekommt man mittlerweile überall – „häufig sogar besseres Internet als in Deutschland,“ wie Julian betonte.

Doch es muss nicht immer der mit Risiken verbundene Sprung in die Selbstständigkeit sein, um das digitale Nomadentum anzugehen. Mittlerweile kann man sogar als fester Angestellter in einem Unternehmen einen solchen Lifestyle verfolgen. So gibt es beispielsweise Software-Entwickler, die schon während der Bewerbungsphase das Angebot erhalten, von woanders aus zu arbeiten. Immerhin gehen Arbeitgeber auch mit der Zeit und sie wissen, dass nicht wenige der potenziellen Bewerber auf derartige Vorteile anspringen.
Es handelt sich hier auch um kein isoliertes Beispiel; mittlerweile gibt es sogar Anwälte, die von typischen Urlaubszielen aus Recherche für Ihr Unternehmen betreiben.

Die übliche Vorgehensweise besteht darin, sein Geld in einem Land zu verdienen, in dem man verhältnismäßig viel verdient und gleichzeitig in einem Land zu leben, in dem die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger sind. Ebenfalls wichtig: Es gibt keine klaren Vorgaben, wie schnell man von einem Ort zum nächsten reisen muss. Wenn es einem in Deutschland gefällt, kann man auch die ganze Zeit in Deutschland arbeiten. Und wenn man doch lieber 2 Jahre in Vietnam verbringt anstatt „nur“ die Wintermonate, dann ist das selbstverständlich ebenfalls eine Option.

Zuletzt gab Julian seinen Zuhörern noch die Gelegenheit, Fragen an ihn zu stellen. Die erste Frage drehte sich um den Verdienst als digitaler Nomade. Diese wurde von Julian relativ neutral behauptet („es gibt theoretisch kein Limit und es kommt darauf an, was einem wichtig ist“), die ich (Oli) gerne noch etwas ausführen möchte: Die Frage nach dem Verdienst ist überhaupt nicht der relevante Punkt, wenn man das Thema digitales Nomadentum diskutiert. Häufig verdient man weniger als andere Leute, die denselben Job machen, doch da man eben in einem Land lebt, in dem die Lebenshaltungskosten wesentlich niedriger sind, bleibt unter dem Strich mehr Geld übrig. Oder eben nicht, weil man bewusst weniger arbeitet und dafür mehr Zeit am Strand verbringt. Wenn einem Verdienst primär wichtig ist und nicht „wie viel Spaß habe ich an meinem Job“ oder „ich würde gerne mal andere Länder setzen“, dann ist die eigene Einstellung nicht unbedingt mit dem beschriebenen Lebensstil vereinbar.

Die zweite Frage bezog sich darauf, wo man das eigene Business am besten registriert. Hier meinte Julian, dass er sich damit noch nie beschäftigt hat und er nach wie vor in Deutschland gemeldet ist. Bisher hat ihm das keine Probleme bereitet und es kam vielen seiner in Deutschland ansässigen Kunden ebenfalls entgegen.

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